"Hier konzentriert sich in den kommenden Jahrzehnten die kreative Energie Deutschlands und teilweise auch der ganzen Welt."
Arnold Voß über Berlin

Berlin

Berlin ist nicht nur der Standort meines Büros sondern auch der Ort der an dem sich meine urbanen Bedürfnisse am besten räumlich bündeln lassen. Hier konzentriert sich in den kommenden Jahrzehnten die kreative Energie Deutschlands und teilweise auch der ganzen Welt, hier besuchen mich auch meine New Yorker Freunde gerne und hier ist die europäische Hauptstadt des Tango Argentino.

Das Ruhrgebiet wird auf Grund seiner stadtstrukturellen Bedingungen nie eine Weltstadt werden, und das muss es auch nicht um wieder ökonomisch erfolgreich zu sein. Berlin ist auf dem Weg dorthin und wird deswegen immer mehr Menschen anziehen die eine globale Orientierung haben. Die globale Rolle New Yorks wird es dabei allerdings nie erreichen und sollte diese auch nicht anstreben. Ich selber werde auf Grund meines Alters das Endergebnis dieses Prozesses allerdings nicht mehr erleben, und das ist wahrscheinlich gut so. Noch ist diese Stadt nämlich für den größten Teil ihrer Bewohner lebenswert und bezahlbar. Noch immer gibt es Wachstumspotentiale die nicht zerstörerisch sondern für die gesamte Stadtentwicklung produktiv sind. Noch gibt es Stadtteile, die Menschen mit wenig Geld und mit vielen Ideen eine inspirierende Umgebung bieten.

Vor allem aber gibt es, was mein Tangoleidenschaft betrifft, immer noch ein schier unglaubliche und zugleich wachsenden Vielfalt an Tanzorten und Musikveranstaltungen, die mittlerweile Tangueras und Tangueros aus der ganzen Welt anziehen. Ein multikultureller Schmelztiegel der die ursprüngliche migrantische Tradition dieses Tanzes erneut erblühen lässt und ihr zugleich eine neue urbane Integrationsfunktion ermöglicht, ja von ihm verlangt. Mein Lieblings Milonga- so nennt man die Tanzorte beim Tango Argentino - liegt nicht weit von meinem Büro im Bezirk Wedding in einem ehemaligen Fabrikkomplex. Die mit der Stadtentwicklungsgeschichte Berlins eng verbundene gestapelte Manufaktur, die nicht nur dort von Anfang an inmitten ebenso hoch verdichteter Wohngebiete ihren mehrgeschossigen Standort fand, ist jetzt ein privat betriebener kultureller Ort geworden, der, wenn auch mit verschiedenen musikalischen und tänzerischen Vorzeichen, sowohl mich als auch meine Tochter anzieht.

Auch sie konnte sich, wie viele andere junge Leute, der Anziehungskraft dieser Stadt nicht entziehen. Sie bestimmen mittlerweile auch das soziale Stadtbild und bilden so einen erfreulichen Kontrast zu meiner Ruhrgebietsheimat. Sie müssen aber andererseits und von vorneherein auch mit den Nachteilen einer sogenannten Boomtown leben lernen, die ihnen einen immer größer werdenden Anteil ihrer Wohnkosten an ihrem Einkommen abverlangt, bzw. die sie zwingt, auf immer kleinerem Raum pro Person zu leben.

Da diese Stadt diesen Nachteil durch ein enorme und weiter wachsende  urbane Vielfalt kompensiert, deren wichtigsten Teil die zugewanderten jungen Menschen selber sind, hat sich hier ein wechselseitige Aufwärtsspirale entfaltet, die ähnlich wie in New York, gerade jungen Menschen auf Grund des gut ausgebauten Nahverkehrs und eines immer größer werdenden Radwegenetzes eine weitere rein finanzielle Kompensation bietet: den problemlosen Verzicht auf ein privates Automobil.

Das kommt aber auch mir selbst als passioniertem Senior-Pedalisten entgegen, denn zunehmende Fahrradfreundlichkeit Berlins macht mir die flächendeckende Vielfalt dieser Metropole in einer Weise zugänglich, von der ich im Ruhrgebiet nur träumen konnte. Ihre permanente innerstädtische Dichte und der damit unvermeidlich einhergehende Verkehrsstress ist dabei natürlich nicht jedermanns Sache. Mir bedeutet er aber immer noch mehr urbaner Spaß als physische Bedrohung, was sich mit zunehmendem Alter natürlich noch ändern kann.